Lost in Transformation? Wie Einzelhändler erfolgreich ihre Strategie neu ausrichten

Neue Saison, neue Trends: der ständige Wandel ist seit jeher Kernbestandteil des Geschäftsmodells vieler Einzelhändler – und auch ein wichtiger Umsatztreiber. Egal ob Fashion, Sportgeräte, Spielzeug oder Möbel – neue gesellschaftliche oder technologische Trends, ein neuer Zeitgeist, weitreichende Veränderungen halten schnell Einzug auf den realen und virtuellen Verkaufsflächen.
4. März 2024
  • Neue Insights

Doch was passiert mit der ‚Altware‘ – speziell in Zeiten einer anhaltenden Konsumkrise?
Wie wird die Preissetzung durch den hohen Wettbewerbsdruck beeinflusst?
Welche Vertriebskanäle sind heute wirklich rentabel, und welche Marketing- bzw. Vertriebskanäle sollten noch stärker bespielt werden?

Diese Fragen stellen Händler vor zunehmende Herausforderungen – insbesondere, weil es darauf keine allgemeingültigen Antworten gibt und historische Erfahrungswerte nur noch bedingt bei der Entscheidungsfindung weiterhelfen.

Es gibt nicht ‚den‘ Einzelhändler – und daher nicht ‚die eine‘ Lösung

Vor COVID-19 waren sich viele Marktbeobachter einig, dass sich Einzelhändler mit stationärer Herkunft (darunter viele Filialisten) schwerer tun mit dem Onlinehandel als die vergleichsweise jungen Online-Pure-Player. Letztere galten als deutlich kundennäher und wendiger bei der Anpassung an das sich verändernde Konsumverhalten. Niedrigere Kostenstrukturen und die Fokussierung auf wenige Vertriebskanäle stellten zusätzliche Wettbewerbsvorteile dar. Die pandemiebedingten stationären Lockdowns verhalfen ihnen zu einem sprunghaften Umsatzanstieg, der vielen als nachhaltig galt.

Seit COVID-19 reihen sich diverse Sondereffekte aneinander – stationäre Lockdowns, Supply Chain Krise, Ukrainekrieg, Zinserhöhung, Inflations- und Kostenanstieg und die gegenwärtige Konsumkrise erschwerten die Planungen vieler Händler, zumal sich das „Normalnull“ aktuell deutlich schwerer beziffern lässt als vor der Pandemie.

Inzwischen gerät auch der Onlinehandel zunehmend unter Druck. Dies liegt nicht nur an der aktuellen Konsumzurückhaltung, sondern auch an strukturellen Herausforderungen: Dazu zählen etwa die weiterhin hohen Retourenquoten und nachhaltig gestiegenen Kosten, welche die Margen vieler Händler belasten. Und galten die jüngeren Online-Pure-Player als starke Herausforderer der etablierten stationären Händler, stehen sie selbst nun zunehmend im Wettbewerb mit neuen Anbietern wie etwa Shein und Temu. Letztere erhöhen den branchenweiten Preisdruck und profitieren von Algorithmus-getriebenem Wareneinkauf, verkürzten Produktionszeiten und aktiver Kundensteuerung, etwa durch „Gamification“-Ansätze und Belohnung von häufigerer bzw. intensiverer App-Nutzung. Dabei nehmen diese Anbieter – wie vor einigen Jahren die neu aufkommenden Online-Pure-Player – auch Verluste in Kauf, um sich bei Kunden zu etablieren und Markenbekanntheit aufzubauen.

Dennoch haben sich in vielen Segmenten relevante Online-Plattformen herausgebildet, an denen Händler nicht mehr vorbeikommen. Dies betrifft sowohl vertikalisierte Markenhersteller als auch Omnichannel-Händler und kleinere Online-Player, die mit ihren eigenen Onlineshops keinen ausreichenden Traffic generieren bzw. ihre Onlineumsätze steigern möchten. Viele von ihnen haben in den vergangenen Jahren vermehrt auf Plattformen wie Amazon und Zalando gesetzt und sehen sich nun mit deutlich gestiegenen Gebühren konfrontiert.

Erfolgreiche Händler setzen auf agile Strategien mit finanziellem Impact

In Zeiten gestiegener Kosten bei zurückhaltender Nachfrage sind finanzielle Robustheit und operative Exzellenz wichtiger denn je. Und: Gerade jetzt kann das Stellen der richtigen strategischen Weichen belastbare Wettbewerbsvorteile hervorbringen. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die Bemessung ihrer finanziellen Effekte und operativen Potenziale ein, die u.a. auch den strukturellen Marktwandel berücksichtigen. Strategische, finanzielle und operative Hebel sollten daher stets integriert betrachtet werden:

  • Regelmäßige strategische Standortbestimmung: Die Marktentwicklung im Einzelhandel ist seit 2020 hochgradig volatil und lässt sich über das laufende Geschäftsjahr hinaus nur schwer abschätzen. Die Verhandlungsmacht gegenüber wichtigen Lieferanten, Vertriebs- und sonstigen Geschäftspartnern sowie Kunden sollten daher regelmäßig beleuchtet werden, ebenso die Entwicklung des Wettbewerbsumfelds, relevante Konsumtrends sowie das aktuelle Insolvenzgeschehen.
  • Enge Kundenbindung: Einzelhändler müssen verstärkt auf personalisierte Ansätze setzen, um sich von Wettbewerbern abzuheben. Künstliche Intelligenz (KI) und eine umfassende Auswertung von Kundendaten ermöglichen es, präzise auf die Bedürfnisse der Zielgruppe – darunter auch ggf. wechselnde Bedürfnisse – einzugehen und maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln. Vor allem die online erhobenen Kundendaten sind ein wertvolles Kapital. Einzelhändler sollten diese Daten nutzen, um ihre Marketingstrategien zu optimieren, die Kundenbindung zu stärken und den Share-of-Wallet zu steigern (u.a. über personalisierte Produktempfehlungen/Werbung).
  • Profitabler Onlinehandel: Aufgrund der häufig (zu) geringen Margen im Onlinehandel ist eine transparente Aufschlüsselung der Ertrags- und Kostenstrukturen unerlässlich zur Klärung essenzieller Fragen, darunter beispielsweise: wie lassen sich die Fulfillmentkosten und Retourenkosten senken? Welche Vertriebs-, Marketing- und Fulfillment-Partner sind unverzichtbar? Wie viel Eigenleistung ist in welchen Bereichen erforderlich? Ist ggf. eine Anpassung aufgebauter Strukturen/Rightsizing notwendig, um den Onlinehandel profitabel zu gestalten? Ein Hoffen auf Umsatzwachstum im Onlinehandel allein kann trügerisch sein.
  • Sicherstellung ausreichender Liquidität: Ein weiterer Erfolgsfaktor liegt im Liquiditätsmanagement und der Optimierung des Working Capitals. In Zeiten steigender Zinsen ermöglicht die Optimierung des Working Capitals eine effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen, etwa durch intensivere Nutzung von KI-getriebenen Prognosemodellen, um den Lagerumschlag zu erhöhen und schneller auf Veränderungen im Nachfrageverhalten der Kunden bis auf Einzelproduktebene zu reagieren.
  • Wahrung von Flexibilität: Ein geschärfter Marktblick und das Entwickeln szenariobasierter Strategien fördert die Anpassungsfähigkeit an relevante Marktveränderungen. Auf dieser Basis gilt es, das Unternehmen (d.h. Planung, Bestellverhalten etc.) auf größtmögliche Flexibilität auszurichten. Dies optimiert – auch in „Normalzeiten“ – das In-Season-Management und stabilisiert den Kurs bei kurzfristigen Marktverwerfungen (etwa bei verändertem Zahlungsverhalten wichtiger Kunden, Ausfall von Top-Lieferanten oder starken Nachfrageschwankungen).
  • Adäquate Finanziererkommunikation: Aufgrund der aktuellen Marktentwicklung (einschließlich der steigenden Insolvenzen) bewerten viele Finanzierer Einzelhändler kritischer als noch vor einigen Jahren. Hinreichende Transparenz, eine robuste Finanzplanung und ein belastbarer, Maßnahmen-unterlegter Strategiefahrplan sind daher unerlässlich bei der Bestreitung von (Re-) Finanzierungsgesprächen.

Erstmalige Veröffentlichung am 04.03.2024 auf dem Handelsblatt Blog

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