Zwischen Dürre und COVID-19

Mehrfachbelastungen treffen Agrar-, Ernährungs- und Holzindustrien. Das müssen Land- und Forstwirte jetzt tun, um ihre Betriebe zukunftsfähig aufzustellen
9/8/2020
  • Neue Insights

Frankfurt, 08.09.2020. Dürre, Schädlinge, neue regulatorische Auflagen und verändertes Verbraucherverhalten: das sind nur einige der Gründe, warum die Zahl der Insolvenzen in der Agrar-, Ernährungs- und Forstwirtschaft seit Jahren ansteigt. Allein 2019 haben ein Viertel mehr Betriebe in Deutschland die Zahlungsunfähigkeit erklären müssen als im Vorjahr.

„Viele Land- und Forstwirtschaftsbetriebe werden auch heute noch sehr hemdsärmelig geführt“, sagt Peter Lammers, Experte für die Agrar-, Ernährungs- und Forstwirtschaft. „Gleichzeitig hat jedoch die Anzahl an Herausforderungen und damit die Komplexität deutlich zugenommen. Für viele wird es höchste Zeit, sehr konkret die Geschäftsmodelle kritisch zu hinterfragen, die Organisation zu professionalisieren und sich auf die neuen Gegebenheiten am Markt einzustellen. Es muss darum gehen, unabhängig von Subventionen und staatlicher Unterstützung tragfähige Geschäftsmodelle zu etablieren.“

Peter Lammers schlägt darum vor, sich zunächst auf fünf konkrete Schritte zu konzentrieren:

  • Transparenz über Liquidität verschaffen und diese langfristig planen

„Große Unternehmen unterhalten oft ganze Abteilungen, um eine adäquate Liquiditätsplanung sicherstellen zu können“, so Peter Lammers. „In landwirtschaftlichen Betrieben wird oft genug noch mit einfachster Buchhaltungssoftware gearbeitet, welche den aktuellen Anforderungen, insbesondere von Finanzierern nicht Rechnung trägt.“ Peter Lammers sagt: „Für viele Landwirte sind Finanzen ein notwendiges Übel. Diejenigen, die ihre Buchhaltung zum Beispiel an ihren Steuerberater ausgegliedert haben, stehen meistens noch am besten dar.“ Lammers empfiehlt Landwirten, sich im ersten Schritt vollständige Transparenz über die eigenen Geldströme und -mittel zu verschaffen – und diese künftig über Software abzubilden. „Die Investition lohnt sich“, sagt Lammers. „Damit schaffen sich Land- und Forstwirte die Möglichkeit, künftige Szenarien gezielt zu simulieren. Sie können frühzeitig planen, wie sich zum Beispiel Wetterereignisse auf ihren Ertrag und ihre Vermögensbestände auswirken werden.“

  • Auswirkung veränderter Rahmenbedingungen bewerten

Eine Vielzahl von sich verändernden Rahmenbedingungen bestimmt die Erfolgsmöglichkeiten für Land- und Forstwirte. Abseits der Wetterereignisse findet sich ein verändertes Verbraucherverhalten: gesündere Ernährung, nachhaltige Landwirtschaft, Abkehr von Massentierhaltung. Es werden neue Umweltverordnungen erlassen, zum Beispiel eine neue Düngemittelverordnung. Gesetze zur Tierhaltung werden erneuert. Und auch die technologische Entwicklung verändert die Möglichkeiten, Felder zu bestellen, Tiere zu halten oder Wald zu roden. Peter Lammers sagt: „Nachdem die eigene Liquiditätssituation geklärt ist, sollten Land- und Forstwirte als nächstes genau überprüfen, welche dieser neuen Entwicklungen sie in welcher Art und Weise und wie schwer betrifft. Und einschätzen: Was ist eine mögliche Bedrohung für das eigene Geschäftsmodell? Was kann eine Chance sein – zum Beispiel deutlich effizientere Maschinen?“

  • Geschäftsmodell nach marktorientieren Gesichtspunkten anpassen

„Die aktuellen Subventionsregeln führen allerdings dazu, dass es kaum Anreize für Landwirte gibt, ihr Geschäftsmodell wirklich anzupassen“, konstatiert Lammers. „Viele verlassen sich darauf: wenn sie in Probleme geraten, wird es die Politik schon richten. Auf dieser Basis lässt sich aber kein zukunftsfähiges Betriebsmodell errichten, das auch für Nachfolger attraktiv erscheint. Und damit stoßen Land- und Forstwirte auf ein handfestes Problem: Wer soll ihre Unternehmungen einmal fortführen?“ Der Experte rät dazu, ein Geschäftsmodell unabhängig von politisch gewollten Subventionen zu entwickeln – und wenn dies auch nur einen Teilbereich der Gesamtproduktion betrifft. Dazu gehört die Erstellung eines strategischen Geschäftsplans, der auf Grundlage einer marktorientierten Analyse erfolgt ist. Beispielhafte Fragen, die dort zu klären sind: Welche Geschäftsbereiche innerhalb des Ackerbaus, der Viehzucht und der Forstwirtschaft sollen ausgebaut oder aufgegeben werden? Können Flächen künftig mit anderen, widerstandsfähigeren Sorten wie Sojabohnen, Hirse oder Sorghum-Hirse bepflanzt werden? Welche Baumarten sollen künftig angepflanzt werden, um den Wald resilienter gegen äußere Einflüsse wie Klima und Wetter zu machen? Wie müssen sich Abnehmer-Gruppen verändern, um einen größeren Einfluss auf den Preis ausüben zu können?

  • Finanzierungsbedarf ermitteln und sicherstellen

Peter Lammers sagt: „Keine Veränderung ohne Investition. Das muss nicht, kann aber auch ohne Kredite funktionieren.“ Der Grund: Die geplante Neuausrichtung macht Ressourcen notwendig, setzt aber auch Ressourcen frei. „Es gibt gute Beispiele, in denen zum Beispiel Produktionen gestoppt, Land veräußert und aus den entsprechenden Gewinnen dann Investitionen in neue Geschäftsfelder oder den Umbau alter Geschäftsfelder getätigt werden konnten. Je nach vorhandener Liquidität sollte der neue Geschäftsplan sehr ernsthaft erörtern, ob eine Fokussierung nicht dazu führen kann, die verbliebenen Teilbereiche dann in dem Maße zu finanzieren, dass gar keine Schulden notwendig sind. Aber auch die Aufnahme von Krediten ist gerechtfertigt, wenn sich Betreiber langfristig von politischen Subventionen – und damit einer gewissen Willkür – unabhängig machen können.“

  • Chancen von Kooperationen prüfen

„Für viele Land- und Forstwirte oder Großgrundbesitzer war das Thema ‚Kooperation‘ bisher nicht von allzu hoher Bedeutung“, sagt Peter Lammers. „Die meisten haben versucht allein zu wirtschaften. Allianzen gibt es nach wie vor selten.“ Der Experte von Andersch FTI empfiehlt jedoch, genau solche Allianzen zu prüfen: Wo lassen sich durch Verbünde ausreichende Volumen bündeln, um zum Beispiel günstigere Einkaufskonditionen zu erzielen? Wie lassen sich Ideen der ‚Sharing Economy‘ auf das eigene Geschäft übertragen, um zum Beispiel Maschinen mit anderen Nutzern zu teilen – ohne eine eigene Neuanschaffung pro Betrieb? Wie lässt sich Vermarktung organisieren, um stärker gegenüber Prozessindustrie aber auch dem Lebensmitteleinzelhandel auftreten zu können? „Viele Probleme lassen sich heute nicht mehr allein in der Stube lösen“, sagt Peter Lammers. „Man muss die Herausforderungen breiter denken, die Implikationen für Wettbewerber, Abnehmer und sonstige Stakeholder am besten gleich mit – und nach Lösungen suchen, die gemeinsame Schnittmengen erzeugen. Auch die Land- und Forstwirtschaft wird um immer stärkere Vernetzung im 21. Jahrhundert nicht herumkommen.“